BERLIN2015: DIE VERSPRECHUNGEN DES RECHTS DRITTER KONGRESS DER DEUTSCHSPRACHIGEN RECHTSSOZIOLOGIE-VEREINIGUNGEN, 9.-11. SEPTEMBER 2015, HUMBOLDT-UNIVERSITäT ZU BERLIN
PROGRAM FOR FRIDAY, SEPTEMBER 11TH
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09:30-11:00 Session 10B: Praxis des Rechts - Anforderungen der Sicherheit

Track "Sicherheit". Organisiert von Reinhard Kreissl, Andrea Kretschmann, Lars Ostermeier, Tobias Singelnstein

Die Session umfasst Beiträge, die in historischer, soziologischer bzw. rechtssoziologischer Perspektive Praxen des Rechts angesichts der Anforderungen von Sicherheit analysieren. Anhand von politischer Überwachung in den USA, Drogentests am Arbeitsplatz und der Belehrungspflichten im Strafprozess wird nachgezeichnet, wie sich diese Anforderungen in der Praxis durchsetzen.

Location: Seminarraum 1.404, Universitätsgebäude am Hegelplatz, Dorotheenstr. 24, 4. OG
09:30
Von der Kolonisierung des Rechts durch Sicherheit zu einer Kolonisierung des Alltags durch versicherheitlichtes Recht - das Beispiel Drogentests am Arbeitsplatz
SPEAKER: Simon Egbert

ABSTRACT. Das Recht unterliegt nicht nur vor dem Hintergrund existenzieller, die Allgemeinheit als Ganze betreffender Sicherheitsgefahren (wie z.B. des Terrorismus) einer zunehmenden Lesung als ‚Ermächtigungsrecht‘, sondern auch in viel alltäglicheren Bereichen des gesellschaftlichen Lebens nimmt das regierungsprogrammatische ‚governing through security‘ einen wichtigen Stellenwert als dominante Leitlinie des dortigen Handelns ein. Operierend über die Trias Risiko – Sicherheit – Prävention sorgt ein solches Regierungsprogramm für die regelmäßige Aushöhlung individueller Freiheitsrechte zu Gunsten der Gefahrenvorbeugung, auch fern der Intervention staatlicher Agenturen. Über die Konzepte Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit wird die Verhältnismäßigkeit der Grundrechtseingriffe im Namen der Vorsorge bestimmt, wobei es im Zuge dessen um die Verhandlung des dort konstruierten Nullsummenspiels zwischen individuellen Freiheitsrechten einerseits und präventiven Bemühungen im Namen der Allgemeinheit andererseits geht. Bislang neigt die einschlägige kriminologische Literatur zur Fokussierung auf die Rolle des Dogmas der Gefahrenabwehr in staatlichen Kontexten. Dabei konnte die Frage, ob bzw. wie diese präemptive Logik des Sicherheitsdenkens auch im privaten Alltag der Menschen zum Tragen kommt, bisher nicht ausreichend beleuchtet werden. Von Interesse ist in diesen ordinären Sicherheits-Bereichen des gesellschaftlichen Miteinanders besonders, wie die Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen, auch fern jeglicher existenzieller Bedrohungen staatlichen Ausmaßes, funktioniert.

Am Beispiel von Drogentestpraktiken am Arbeitsplatz soll – empirisch unterfüttert – dargelegt werden, wie die Kolonisierung des Rechts durch Sicherheit, durch auf Gefahrenabwehr fokussierte Denk- und Handlungsweisen auch im gesellschaftlichen Alltag zur Entfaltung kommt und welche Effekte dieser Prozess besitzt. Dabei wird sich einerseits auf Gerichtsurteile gestützt, die die Anwendung von Drogentests am Arbeitsplatz als Maßnahmen der Arbeitssicherheit legitimieren, andererseits auf Interviews zurückgegriffen, die mit Testerinnen und Testern aus dem Arbeitsplatzbereich geführt wurden. Darzustellen ist im Zuge dessen, wie zunächst Drogenkonsum als Risiko am Arbeitsplatz konstruiert, daran anschließend der Ruf nach entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen laut und schließlich präventive Kontrollmaßnahmen, die die wahrgenommenen Gefahren abwehren sollen, implementiert werden und mit welchen diskursiven Wissensbeständen dabei operiert wird. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die jeweiligen Vorstellungen von Sicherheit zu richten: was wird von den betei-ligten Akteur_innen unter Sicherheit verstanden, welche Maßnahmen werden damit verbunden und welche Ambivalenzen sind darin zu erkennen? Es ist im Anschluss daran zu diskutieren, welche Parallelen zwischen den Argumentationsstrategien im vorliegenden Fall und jenen aus dem Diskurs zur Inneren Sicherheit zu identifizieren sind und wie sich dieser Befund zu der kriminologischen Zeitdiagnose der Sicherheitsgesellschaft verhält, ob z.B. letztere durch die hier vorgenommene ‚Veralltäglichung‘ von Praktiken der Versicherheitlichung modifizie-rende Eingriffe benötigt und welche Rolle dabei die genutzten technischen Kontrollartefakte spielen.

09:45
Politische Überwachung in den USA. Der Fall Laird v. Tatum 1972

ABSTRACT. Im Januar 1970 deckte ein ehemaliger Armeeangehöriger in einem Magazinartikel ein Programm der US-Armee auf, die seit Ende der 1960er Jahre verstärkt zivile politische Gruppen überwacht hatte, auch wenn diese sich gesetzestreu verhielten und nicht als gewalttätig auffielen. Daraufhin befasste sich ein Komitee im Senat mit dem Fall und mit Datenbanken, die offenbar über Protestgruppen geführt wurden. Die Armee begründete die Überwachung mit Unruhen, wie sie sich etwa 1967 in Detroit entzündet hatten. Dagegen vertrat die American Civil Liberties Union politische Gruppierungen, die sich eingeschüchtert fühlten und in ihren Rechten verletzt sahen, und brachte den Fall vor Gericht. Auch Kongressmitglieder engagierten sich in dem Rechtsstreit, der damit zu einem Politikum wurde. Das Oberste Bundesgericht erklärte die Praktiken der Armee allerdings für rechtmäßig, mit der Stimme von Richter Rehnquist, dem die unterlegene Seite wegen früherer Äußerungen als stellvertretender Generalbundesanwalt Befangenheit vorwarf. Der Fall verdeutlicht einen gesellschaftlichen Konflikt zwischen der Sorge vor sozialen Unruhen auf der einen und dem Schutz der Meinungsfreiheit und der Privatsphäre auf der anderen Seite. Anhand des Falls soll der Wandel des Rechts im Zeichen der Sicherheit aus historischer Perspektive analysiert werden. Denn Anfang der 1970er Jahre kamen in den Vereinigten Staaten von Amerika mehrere Fälle politischer Überwachung an die Öffentlichkeit. So hatte die Bundespolizeibehörde jahrelang politische Gruppierungen, zu denen auch Bürgerrechtler gehörten, infiltriert und zu stören versucht. Nachdem die Watergate-Affäre die Öffentlichkeit erschüttert hatte, wurde die Tätigkeit der Geheimdienste untersucht.

10:00
Kommentar

ABSTRACT. Kommentar zur Session "Praxis des Rechts - Anforderungen der Sicherheit"

09:30-11:00 Session 10C: Roundtable: Was beobachten wir, wenn wir soziale Normen beobachten

Track "General Papers". Organisiert von Christoph Möllers

Der Roundtable beschäftigt sich mit der Frage nach sozialen Normen und dem Versprechen, das von unserer Vorstellung von Normen ausgeht. Wenn wir von Normen sprechen, denken wir zumeist an Vorschriften, die unser Leben regeln – die uns sagen, was wir tun sollen oder was wir nicht tun dürfen. Normen, so könnte man meinen, verlangen stets bestimmte Handlungen oder Unterlassungen und erfordern eine moralische Rechtfertigung. Aber stimmt das überhaupt? Lässt sich damit das Gemeinsame all jener sozialen Praktiken, die wir als normativ bezeichnen möchten, erfassen? Die These ist, dass unser Umgang mit Normen an falschen Erwartungen leidet. Wir überfordern die Praxis des Normativen mit moralischen Ansprüchen und mit Hoffnungen auf Wirksamkeit. Beides verfehlt sie, denn die meisten Normen, denen wir begegnen, sind weder moralisch überzeugend gerechtfertigt, noch haben sie eindeutige Wirkungen. Dies ist kein Zufall, ja, es ist noch nicht einmal ein Problem, denn Normen erfüllen einen anderen Zweck: Indem sie eine bestimmte Möglichkeit des Weltverlaufs kennzeichnen und mit einer Bewertung versehen, erlauben sie es uns, inmitten einer Praxis zu ebendieser Praxis auf Abstand zu gehen und Alternativen zu ihr gegenwärtig zu halten. Dies funktioniert aber nur, wenn Normen eine distanzierende Spannung zur Welt aufbauen und auf Dauer stellen können. Ihre eigene Übertretung zuzulassen ist deshalb nicht die geringste Aufgabe von Normen.

Chair:
Location: Seminarraum 1.308, Universitätsgebäude am Hegelplatz, Dorotheenstr. 24, 3. OG
09:30
Eingangsstatement

ABSTRACT. Eingangsstatement

09:45
Kommentar
SPEAKER: Julia Eckert

ABSTRACT. Kommentar

10:00
Kommentar

ABSTRACT. Kommentar

09:30-11:00 Session 10E: Die Versprechungen des Antidiskriminierungsrechts – Von Wirkungen, Risiken und Nebenwirkungen

Track "General Papers". Organisiert von Tarek Naguib, Doris Liebscher und Kurt Pärli.

Antidiskriminierungsrecht hat den Zweck, Diskriminierung zu verhindern, die Mobilisierung des Rechtsschutzes zu unterstützen sowie Rechtsbrüche wirksam, verhältnismässig und abschreckend zu sanktionieren. Allerdings kann sich das Recht nach dem hier zugrunde liegenden rechtstheoretischen Verständnis nicht darauf beschränken, Beziehungen zwischen scheinbar autonomen Individuen mit Rechten und Pflichten durch Verbote und Repression zu regeln. Vielmehr ist Antidiskriminierungsrecht auch ein „Mittel der Befreiung und Weg zu neuen Handlungsmöglichkeiten“. Es schafft Anerkennung und Repräsentation und soll dazu beitragen, den Grundsatz der Nichtdiskriminierung als gesellschaftlichen Wert zu stabilisieren sowie Integration zu fördern. Kann Recht gegen Diskriminierung diesen Ansprüchen genügen? Um welchen Preis: Worin liegen die Grenzen und Risiken und Nebenwirkungen, die Antidiskriminierungsgesetze aufweisen? Diesen Fragen geht dieses Panel nach.

Location: Seminarraum 1.601, Universitätsgebäude am Hegelplatz, Dorotheenstr. 24, 6. OG
09:30
Antidiskriminierungsrecht zwischen Schuld und Verantwortung, Recht und Moral

ABSTRACT. Angesichts eines auf historischen NS und modernen "Rechtsextremismus" verengten hegemonialen Rassismusverständnisses in Deutschland fällt eine Thematisierung rassistischer Diskriminierung im Rechtsdiskurs oft schwer. Die jahrelange rein strafrechtliche Regulierung von rassistisch motivierten Handlungen hat zusätzlich zu einer Moralisierung der Debatte geführt. Kann zivilrechtliches Antidiskriminierungsrecht den Fokus von Schuld auf Verantwortung schieben und damit zu einer Entmoralisierung und Enttabuisierung des Rassismusbegriffs im Recht beitragen?

09:45
Starke Gesetze gegen Diskriminierung: Ein Instrument zwischen Emanzipation und Verantwortungs-Delegation
SPEAKER: Tarek Naguib

ABSTRACT. Der Beitrag widmet sich dem Spannungsfeld, in welchem sich der Kampf um ein wirksames Antidiskriminierungsrecht stets bewegt: Einerseits ermöglichen gute Gesetze die Mobilisierung politischer Anliegen und damit die politische Emanzipation und Forderung nach Anerkennung und Teilhabe. Andererseits weisen gesetzgeberische Erfolge die Gefahr auf, dass der Kampf gegen Rassismus, (Hetero-)Sexismus, Ableism, Ageism und anderen Diskriminierungen an den Staat und an spezialisierte Organisationen delegiert wird. Damit befindet sich das Recht gegen Diskriminierung stets in einem Dilemma von Emanzipation und Verantwortungs-Delegation.

Der Beitrag fokussiert auf Erfahrungen aus dem schweizerischen Antidiskriminierungsrecht: Auf der Grundlage der jeweiligen Entstehungs- und Entwicklungsgeschichten wichtiger Gesetze zum Abbau von Diskriminierung und zur Gleichstellung geht er der Frage nach, unter welchen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen Antidiskriminierungsgesetze den Kampf um Gleichheit stärken, bzw. wo und worin das Risiko der Schwächung besteht. Im Blick des Beitrages sind zum einen die Phasen der gesetzgeberische Mobilisierung (insb. das Agenda-Setting und die Politikdurchführung) und zum anderen die Phasen der Um- und Durchsetzung der Gesetze (Implementation).

Zum Gegenstand der Untersuchung gehören die Rassismusstrafnorm, das Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann (GlG), das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) und das Partnerschaftsgesetz (PartG). Ebenso Teil der Analyse ist der Kampf um die Stärkung von LGBTIQ-Rechten mittels strategischer Prozessführung. Der Beitrag orientiert sich an empirischen und theoretischen Studien aus Politologie, Soziologie und Rechtstheorie. In den Blick genommen werden unter anderem aktuelle Evaluationen zum GlG (2014, 2006), zum BehiG (2015) und zum Zugang zum Recht (ebenfalls 2015) sowie wissenschaftliche Erkenntnisse aus 20 Jahren Rassismusstrafnorm.

10:00
Die Konstruktion bedürftiger und arbeitender SozialhilfempfängerInnen in der Schweiz
SPEAKER: Gesine Fuchs

ABSTRACT. Mit der nachholenden Entwicklung des schweizerischen Wohlfahrtsstaats sind informelle und moralisierende „Fürsorgebeziehungen“ fast ganz verschwunden und die Beziehung zwischen Sozialbehörden und SozialhilfeempfängerInnen haben rechtsstaatliche Grundlagen. Seit zehn Jahren bestehen verstärkte Arbeits- und Mitwirkungspflichten und es werden entsprechende Zulagen gewährt. Beschäftigungsprogramme haben je nach Gestaltung disziplinierenden, qualifizierenden oder symbolischen Charakter. Sie und die Beziehungen zwischen Klientschaft und Sozialarbeitenden wurden bereits verschiedentlich soziologisch analysiert, teilweise auch evaluiert. Kaum beleuchtet ist bisher der Beitrag rechtlicher Grundlagen in diesem Diskurs. Das Paper analysiert anhand der Entwicklung der Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) seit den 1990er Jahren und den Sozialhilfegesetzen zweier Kantone, wie Bedarf und Bedürftigkeit, Rechte und Pflichten der KlientInnen konstruiert werden und exploriert sozialpolitische Konsequenzen dieses Leistungs- und Gegenleistungs-Paradigmas.

09:30-11:00 Session 10F: Gerichte und Öffentlichkeit (entfällt)

Track "General Papers". Muss leider entfallen.

Location: Seminarraum 1.405, Universitätsgebäude am Hegelplatz, Dorotheenstr. 24, 4. OG
09:30-11:00 Session 10G: Emergenz der Rechtsinterpretation: Narrativ, Adaption und Diffusion

Track "Interpretation". Organisiert von Roland Lhotta und Michael Wrase.

Location: Seminarraum 1.406, Universitätsgebäude am Hegelplatz, Dorotheenstr. 24, 4. OG
09:30
Zwischen Politik und Moral: zur Auslegung humanitärvölkerrechtlicher Normen

ABSTRACT. Es ist eine der überkommenen Grundkonzeptionen des Völkerrechts, dass es eine besondere Nähe zur Politik bzw. zur politischen Auslegung aufweist. Dadurch, dass einerseits Staaten als politische Akteure maßgeblich an der Auslegung des Völkerrechts beteiligt sind und andererseits keine verbindliche Auslegungs-/Entscheidungsinstanz existiert, befindet sich das Völkerrecht häufig unter dem Damoklesschwert der Instrumentalisierung (aktuelle Argumentationsmuster zwischen den USA und der Russischen Föderation anlässlich der Krim-Krise bestätigen diese Beobachtung). Die Problematik der Auslegung(sbereitschaft) zeigt sich dieser Tage aber vor allem im humanitären Völkerrecht und dem von diesem Rechtsinstitut so nicht erfassten Phänomen des internationalen (fundamentalistischen) Terrorismus. Hier erlebt die Rechtsgemeinschaft eine mit erheblichen „dogmatischen“ Anstrengungen verbundene „intendierte Auslegung“ der Vereinigten Staaten, um ihre Maßnahmen im „global war on terrorism“ mit dem Völkerrecht in Einklang zu bringen und droht dabei, in Argumentationsstrukturen von vor 1945 zurückzufallen. Das humanitäre Völkerrecht zielt darauf ab, den Zustand des bewaffneten Konflikts – soweit möglich – zu verrechtlichen. Wie jedes andere Rechtsregime „zielt es auf eine Handlungsanleitung der Regeladressaten“ ab. Der ihm immanente Durchsetzungsmechanismus, die Gegenseitigkeitserwartung, gerät aber in einem „asymmetrischen Konflikt“ an seine Grenzen und droht, ein ganzes Rechtsregime zu destabilisieren. Es ist gerade Zeichen des internationalen Terrorismus, sich nicht an die Vorschriften des humanitären Völkerrechts zu halten. Höchst uneinheitlich wird in der Folge diskutiert, was sich hieraus für die grundsätzlich uneingeschränkte Bindung des Staates an das humanitäre Völkerrecht ergibt und was „ein der jeweiligen Situation angemessenes und somit auch verpflichtetes Handeln“ darstellt. Rechtsauslegung ist eine Anpassung von Vorschriften der Vergangenheit auf Problematiken der Gegenwart. Eine Fortentwicklung des humanitären Völkerrechts durch grundlegende Konferenzen mit Abschlussdokumenten wie von 1949 oder 1977 ist gegenwärtig nicht in Sicht. Umso entscheidender ist es daher, im Wege der Auslegung und der Berücksichtigung vorgeschlagener handlungsanleitender Regeln einen modus vivendi zu ermitteln, der allen beteiligten Parteien gerecht wird. Im humanitären Völkerrecht haben wir es mit einer weit gefächerten Bandbreite von Rechtsanwendern – Staatenvertreter, Militärs, Völkerrechtler, NGOs und nicht zuletzt das IKRK – zu tun, sodass dieses Feld für eine empirische Betrachtung prädestiniert ist. Die hier nur grob angerissenen Thematiken und Fragestellungen möchte ich in meinem Beitrag anhand aktueller Konflikte näher ausführen.

09:45
Grauzonen und Grenzbereiche im Strafrecht am Beispiel der Sterbehilfedogmatik

ABSTRACT. Zu Recht wird von einigen institutionalistisch verankerten Ansätzen die Aufgabe der Rechtsinterpretation auf alle BürgerInnen potentiell übertragen. Nun sind die Auswirkungen einer derartigen Übertragung nicht einheitlich, sondern variieren und zwar je nach der betroffenen Rechtsmaterie. Im Bereich des Kriminalrechts mit seinem eingriffsintensiven Sanktionsinstrumentarium kann jedoch diese in der Logik des Kriminaljustizsystems liegende Aufgabenwahrnehmung durch die Rechtsadressaten einen hohen Preis verlangen. Dieser Preis kann die individuelle Freiheit (be)treffen und fällt somit oft höher aus als z.B. auf der Ebene des Zivilrechts. Die Rechtsinterpretation seitens der Bürger im Strafrecht ist heikel: denn aus einer Divergenz zwischen gelebter Rechtsinterpretation und Rechtsinterpretation durch den Rechtsstab ergeben sich einerseits Strafbarkeitsrisiken (wenn z.B. das Recht nach unten fehlinterpretiert wird), andererseits werden Freiheits- und Handlungsspielräume eingeschränkt (wenn z.B. das Recht nach oben fehlinterpretiert wird). Für den Fall der Verkennung von Strafbarkeitsvoraussetzungen hält die Strafrechtsdogmatik, vor allem durch die Regeln über den Verbotsirrtum, Instrumente parat, um derartige Interpretationen nachträglich zu korrigieren. Komplexer und verlegener reagiert das Recht, wenn die Rechtsadressaten ihr Verhalten einer vermeintlich richtigen Rechtsinterpretation anpassen. Verfassungsdogmatisch und –politisch ist das Recht bemüht, derartige, wahrscheinlich unbeabsichtigte Freiheitseinschränkungen durch den Bestimmtheitsgrundsatz und durch das Analogieverbot abzuwenden. Diese hehren Prinzipien beziehen sich jedoch auf die Interpretation von einzelnen Tatbestandsmerkmalen und vermögen nicht Situationen zu erfassen, bei denen die Durchdringung eines oft (über)komplexen dogmatischen Grundgerüstes erforderlich wird. Dieser Umstand wird bedeutsam in Grauzonen des Rechts. In solchen Grenzbereichen ist eine autoritative Rechtsinterpretation entweder nicht vorhanden, oder deren situative Anwendung ist nicht erschließbar. Ein solcher Bereich, bei dem sich existentielle Überlegungen, ethische Grundüberzeugungen, Ängste und Staatsräson kreuzen, ist das Recht der Sterbehilfe und –begleitung. Ziel des Vortrags ist es, in der gebotenen Kürze die Gefahren aber auch die Chancen zu skizzieren, die sich aus der (unvermeidlichen) Diffusion der Rechtsinterpretation auf die Rechtsadressaten speziell für das Strafrecht ergeben. Am Beispiel der Dogmatik (Lehre und Rechtsprechung) der Sterbehilfe und –begleitung soll aufgezeigt werden, dass Grauzonen im Strafrecht nicht von allen involvierten Akteuren in der gleichen Art und Weise bewältigt werden: Angehörige medizinischer Berufe entwickeln bspw. unterschiedliche Strategien, um der normativen Unsicherheit in Grauzonen entgegenzuwirken. Diese Strategien bzw. Eigenlogiken treten in Dialog mit den Rechtsinterpretationen des Rechtsstabes. Die prinzipielle Straflosigkeit des ärztlich assistierten Suizids ruft den Diskurs nach berufsrechtlichen Maßnahmen hervor; dieser vermengt sich wiederum mit der Debatte über die Strafwürdigkeit der geschäfts- oder gewerbsmäßigen Suizidassistenz. Zudem besteht folgender Verdacht: Die Aufgabe einer autoritativen Rechtsinterpretation, Varianz und Emergenz zu reduzieren wird umso schwieriger ausfallen, je mehr rechtsethische Grundprinzipien im rechtlichen Entscheidungsprozess tangiert sind.

10:00
Recht und soziale Praxis - Überlegungen für eine Rechtstheorie der Praxis
SPEAKER: Michael Wrase

ABSTRACT. Wie die empirische Forschung zeigt, richten sich Menschen in ihrem sozialen Handeln nicht nach Regeln, sondern verfolgen anpassungsfähige Strategien. Diese bewussten oder habituellen 'Strategien' werden zum einen durch das - kulturell vermittelte - Wissen bzw. die jeweilige Wahrnehmung der sozialen Welt beeinflusst, zum anderen durch normative Überzeugungen und Wertungen. Beides wird durch das Recht mitgeprägt. Zugleich verändert sich Recht durch die sozialen Praktiken seiner Anrufung, Inbezugnahme und Interpretation durch professionelle Rechtsagenten ebenso wie durch Akteure in sozialen Feldern. Das Paper stellt erste Überlegungen für ein Verständnis der Rechtsinterpretation als soziale Praxis vor, das zunächst für den Bereich des professionellen Handelns von Rechtsagenten entwickelt wird, sich darauf aber nicht beschränken soll. Ausgangspunkt für die Überlegungen und Fragen ist das Habitus-Feld-Konzept von Pierre Bourdieu.

09:30-11:00 Session 10H: Rule of Law als Maßstab für nicht-staatliche Rechtssysteme?

Track "Rule of Law and Governance". Organisiert von Anke Draude und Matthias Kötter.

Werden nicht-staatliche Rechtssysteme und ihre Institutionen vor allem als Ersatz für staatliches Recht und eine fehlende staatliche Justiz oder als Ergänzung hierzu verstanden, dann treten oftmals v.a. ihre funktionalen und normativen Defizite hervor. Dabei hat die rechtsanthropologische und -soziologische Empirie immer wieder gezeigt, dass diese Systeme vielfältige Funktionen erfüllen können, die quer zur funktionellen Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative liegen, und mit denen besondere, historisch gewachsene Legitimationsstrukturen verbunden sind. Die Beiträge in diesem Panel stellen empirische Studien über nicht-staatliche Rechtssystemen aus verschiedenen Räumen der Welt vor und ermöglichen ein Gespräch über die gesellschaftlichen und die institutionellen Bedingungen von Governance mithilfe des Rechts und über die Schnittstellen zwischen den nicht-staatlichen Rechtssystemen und den Normen des internationalen und des staatlichen Verfassungsrechts.

Location: Seminarraum 1.501, Universitätsgebäude am Hegelplatz, Dorotheenstr. 24, 5. OG
09:30
Bush-level bureaucrats in South African land restitution: implementing state law under chiefly rule
SPEAKER: Olaf Zenker

ABSTRACT. South African land restitution redresses past race-based land dispossessions, which went hand in hand with massive relocations of Africans to so-called “homelands” under the official “customary rule” of state-recognised “tribal authorities”. While the current statutory provisions for restitution clearly emphasise individual rights of citizens even in communal land claims, in which the restored land must be held by a democratically constituted legal body, those state officials tasked with the actual implementation of these regulations face great problems. In many rural areas, these bush-level bureaucrats are confronted with powerful structures of “customary law” and chiefly rule that persist as complex assemblages of older apartheid-style “customary law”, the “living customary law” and new attempts at constitutional and statutory regulations regarding “customs” and chiefs. Especially recent statutory trends towards a re-empowerment of traditional leaders further complicate the task of bush-level bureaucrats to implement seemingly straightforward court orders/settlement agreements in land restitution that get increasingly ambiguous when travelling to their target places. Based on a case study of the communal land claim on “Kafferskraal” and 16 surrounding farms in Limpopo, this paper thus investigates how the state deals with dissident versions of “customary law”, while trying to implement its own law increasingly implying yet another, domesticated version of what actually constitutes the “custom” of chiefly rule.

09:45
Verfassungsrechtlich anerkanntes islamisches Recht und die Scharia-Gerichtsbarkeit in Äthiopien: Ein prozeduraler Ansatz?
SPEAKER: Katrin Seidel

ABSTRACT. In Äthiopien besaßen und besitzen staatliche Akteure eine begrenzte Rechtsformulierungs- und Rechtsdurchsetzungsautorität aufgrund konkurrierender Geltungsansprüche anderer Akteure. Dies wird insbesondere hinsichtlich der Regulierung der Familienrechtsarena sichtbar, die hauptsächlich durch lokale und religiöse Rechtsvorstellungen erfolgt. Im Bestreben, Pluralität zu ordnen und eigene Ko-Regulierungsansprüche zu sichern, umfassen staatliche Rechtsreformen auch die verfassungsrechtliche Anerkennung des islamischen Familienrechts und der Scharia-Gerichtsbarkeit. Die Studie soll zeigen, dass sich staatliche Akteure mit Hilfe von prozeduralen Regulationsmechanismen sowie Mechanismen zur gerichtlichen Überprüfung der Scharia-Gerichtsentscheidungen als ‚Garanten‘ für Pluralität positionieren. Darüber hinaus soll aufgezeigt werden, dass die dem staatlich regulierten Rechtspluralismus inhärenten und sichtbaren Normkonflikte Raum und Forum für kontinuierliche Aushandlungsprozesse gewährleisten, die zu gegenseitigen Adaptionsprozessen als Reaktion auf divergierende Rechts- und Wertvorstellungen führen. Die Adaptionsprozesse verdeutlichen die sich gegenseitig bedingende Heterogenität von Ordnungsvorstellungen, die stets von den Akteuren lokalspezifisch geformt und ausgehandelt werden. Dabei lassen sich auf verschiedenen Ebenen unterschiedliche Normkollisionsmechanismen identifizieren. Es entstehen neue normative und institutionelle Formen im Spannungsfeld von divergierenden Interessen innerhalb der interdependenten Sphäre von Staat, Gruppen und Gruppenmitgliedern.

10:00
Nicht-staatliche Rechtssysteme und Rule of Law

ABSTRACT. Der Beitrag nähert sich nicht-staatlichen Rechtsssystemen aus der funktionalistischen Perspektive der Governance-Forschung. Diskutiert werden zum einen Kriterien zur systemtischen Unterscheidung verschiedener Ausprägungen nicht-staatlichen Rechts, zum anderen verschiedene Regelungsmodelle zur Einbettung nicht-staatlicher Rechtssysteme in die staatliche Rechtsorndung. Diskutiert wird ausserdem, inwieweit "Rule of Law" als Leitbild und Maßstab für nicht-staatliche Rechtssysteme dienen kann. Der Beitrag beruht auf ERgebnissen der Forschung aus dem SFB700-Teilprojekt B7 "Recht und Rechtsstaatlichkeit (rule of law) in Räumen begrenzter Staatlichkeit".

10:15
Between Democratic Security and Democratic Legality: discursive institutionalism and the empowerment of courts in Colombia
SPEAKER: Jan Boesten

ABSTRACT. In the aftermath of the fall of authoritarian regimes in Eastern Europe and Latin America, soon a general sobering moment set in. Most new democracies, although not in the danger of regressing to authoritarian regimes, did not become full liberal democracies as appeared to be the norm in Western Europe or North America. Presidential regimes in particular – but not exclusively – held regular and more or less competitive elections, but were very weak in upholding the rule of law. Academic work focused on democracies with adjectives to describe the new phenomenon and it became readily apparent that most of these new species were comparatively weak in institutionalizing and upholding a properly functioning separation of powers. More often than not, presidents ruled the way they saw fit without patience for the nuisance of negotiating with horizontal accountability institutions. It is now evident that a weak separation of powers results in a weak rule of law. The paper I am planning to present is rooted in the findings from my dissertation and describes a case, in which the separation of powers consolidated as a consequence of an activist Constitutional and Supreme Court: Colombia. The Constitutional Court in Colombia declined a constitutional reform to allow another presidential term in 2010, while the Supreme Court between 2006 and 2012 criminally investigated congressmen for illicit relations with armed groups at the margin of legality and as a result condemned a number of them to lengthy prison sentences. The institutional independence of either institution, which had long-term consequences for the separation of powers and issues of governance that have plagued the country for decades, were intrinsically related with another and connected to the right to contestation rooted in the right to justice of victims’ of paramilitary violence. The Constitutional Court, upholding victims’ rights to the truth in a constitutionality decision of the transitional justice law, set in motion a process, which exposed equilibrium relations to the force of publicness, thereby offsetting the equilibrium between actors (paramilitaries and congressmen). The Supreme Court, following the Constitutional Court’s decision, studiously pushed investigations into criminal relations exposed by the publicness of the transitional justice process of representatives, thereby exposing a largely co-opted legislature. The Constitutional Court, in turn, incorporated the results of the Supreme Court’s inquiries into criminal behavior of Congressmen, who were associated with the political forces of the sitting President, to develop and apply a doctrine that expanded the Court’s review power and eventually turned down a constitutional reform project that would have enabled said President to run for another term in the presidency. The result is an institutional framework with more powerful courts counteracting the crisis of representation rooted in the co-optation of Congress as well as balancing the excessive power of a “delegative” executive. The importance of the findings results from the fact that Colombia constitutes a least likely case for observing institutional robustness due to the longevity of civil conflict and the resulting corruption. It fits into the paradigm of “Rule of Law and Governance”, because the weak state had given enough space for violent entrepreneur to create their own “law”. The process of judicial empowerment is therefore also a process of regaining space from illegal armed actors and gradually improving the rule of law in the entire territory. It shows that the publicness of contestation is a crucial factor for explaining a more robust rule of law.

11:00-11:30Kaffeepause
11:30-13:00 Session 11A: Gemeinsame Mitgliederversammlung der rechtssoziologischen Sektionen der DGS, der ÖGS, und der SGS

Organisiert von Fatima Kastner, Walter Fuchs und Josef Estermann

Location: Seminarraum 1.608, Universitätsgebäude am Hegelplatz, Dorotheenstr. 24, 6. OG
11:30-13:00 Session 11B: Geheimdienste und Recht - Szenen eines schwierigen Verhältnisses

Track "Sicherheit". Organisiert von Tobias Singelnstein, Reinhard Kreissl, Andrea Kretschmann, Lars Ostermeier.

Rechtlich besehen sind Geheimdienste wie jede andere staatliche Institution an Recht und Gesetz gebunden. Rechtstatsächlich steht wohl bei keiner anderen Behörde diese Bindung in einem derart starken Spannungsverhältnis zur Praxis wie bei den Geheimdiensten. Wie dieses Spannungsverhältnis und seine Kontrolle ausgestaltet sind, lässt sich derzeit ein wenig anhand der parlamentarischen Untersuchung der Überwachungstätigkeiten von NSA und BND beobachten. Das Panel nimmt dies zum Anlass, einige Szenen des Verhältnisses von Geheimdiensten und Recht genauer unter die Lupe zu nehmen.

Location: Seminarraum 1.404, Universitätsgebäude am Hegelplatz, Dorotheenstr. 24, 4. OG
11:30
Steuerung und Kontrolle von Geheimdiensten durch Parlament und Gerichte: die Quadratur des Kreises?
SPEAKER: Ulf Buermeyer

ABSTRACT. Die Snowden-Papiere haben sowohl in den USA als auch in Deutschland und dem Vereinigten Königreich für einige Überraschung gesorgt, was die Methoden der geheimdienstlichen Datensammlungen angeht: In den USA stützte die NSA eine Vorratsdatenspeicherung von Telefon-Verbindungsdaten auf die sog. Section 215 des PATRIOT Act - eine Norm, von der wohl niemand geahnt hätte, dass sie dies autorisieren könnte. Der BND legt die 20%-Quote bei der strategischen Telekommunikationsüberwachung bei Internet-Verkehr derart aus, dass im Ergebnis der gesamte gewünschte Verkehr mitgeschnitten werden kann. All diesen kreativen Interpretationen ist gemein, dass sie sich im Geheimen vollzogen - einer kritischen juristischen Betrachtung hätten sie kaum standgehalten. Der Beitrag geht der Frage nach, was sich aus diesen Exzessen der Exekutive darüber lernen lässt, ob und wie Geheimdienste legislativ überhaupt wirksam gesteuert werden können und wie effektiv verschiedene Kontrollregimes - etwa parlamentarische Gremien wie in Deutschland oder Geheimgerichte wie im UK oder in den USA - tatsächlich eine Gewähr für die Legalität geheimdienstlichen Handelns bieten können.

11:45
Geheimdienste und Parlament - wer kontrolliert wen?
SPEAKER: Anne Roth

ABSTRACT. Der 1. Untersuchungsausschuss des Bundestages in dieser Legislaturperiode ("NSA") hat bisher keine wirklich spektakulären Enthüllungen über die Beteiligung des BND am internationalen Massenüberwachungs-Netzwerk der Geheimdienste hervorgebracht. Deutlich geworden ist hingegen, dass der BND mit Billigung des Kanzleramts gegen geltende Gesetze verstößt oder sie zumindest sehr großzügig interpretiert. Es zeichnet sich ab, dass der Dienst häufig nach dem Prinzip "Wir machen alles, was nicht explizit verboten ist" vorgeht. Auch das System der Kontrolle der Geheimdienste ist von mehreren Zeugen erheblich kritisiert worden, darunter auch einem ehemaligen Vorsitzenden der G10-Kommission. Immer wieder wird von Abgeordneten im Ausschuss darauf hingewiesen, dass das Parlament die Regierung und damit auch die Geheimdienste kontrolliert und nicht umgekehrt - in der Theorie.

12:00
Kommentar

ABSTRACT. Kommentar

11:30-13:00 Session 11D: Das Recht der Versprechungen: Gebrauchsanweisungen um sich nicht von Recht täuschen zu lassen (entfällt)

Track "General Papers". Organisiert von Cristina Martín Asensio und Verena Zoppei.

Die Session muss leider entfallen.

Location: Seminarraum 1.502, Universitätsgebäude am Hegelplatz, Dorotheenstr. 24, 5. OG
11:30-13:00 Session 11E: Leistung, Gegenleistung und Bedarf: Im Kellergeschoss von Grundsicherung und Sozialhilfe (entfällt)

Track "Recht und soziale Ungleichheit". Organisiert von Gesine Fuchs, Sabine Berghahn and Kurt Pärli.

Die Session muss leider entfallen.

Location: Seminarraum 1.308, Universitätsgebäude am Hegelplatz, Dorotheenstr. 24, 3. OG
11:30-13:00 Session 11F: Interdisziplinäre Perspektiven auf das Verfassungsrecht
Location: Seminarraum 1.405, Universitätsgebäude am Hegelplatz, Dorotheenstr. 24, 4. OG
11:30
Zur sozialen Dimension einer Verfassung: Die Mechanismen zur rechtlichen Bewältigung gesellschaftlicher Probleme

ABSTRACT. Während dem Recht im Verhältnis zur Gesellschaft das Versprechen zugeschrieben wird, gesellschaftliche Probleme zu bewältigen, kommt der Verfassung vornehmlich die Verflechtung des Rechts mit der Politik zu. So vertritt beispielsweise Habermas (2004) die These, eine republikanische Verfassung sei dafür verantwortlich, die Politik einzudämmen, während sie durch das von politischer Rationalität geprägte Verfahren das Recht mit Themen versorgt. Auch bei Luhmann (1991, 1993) fungiert die Verfassung als eine Kopplung der Spitzenstrukturen des Rechts und der Politik, die die Grundlage dafür bildet, dass politische Entscheidungen in Recht einmünden und dass rechtliche Entscheidungen mittels politischer Macht durchgesetzt werden. Diese Annahme prägt ebenso neue soziologisch informierte Rechtstheorien, so betonten Chris Thornhill (2011), dass die Verfassung die Grundstruktur auch vormoderner politischer Ordnungen ist, und nicht zuletzt Gunther Teubner (2012), dass die zu limitierenden Wachstumstendenzen sozialer Bereiche hochpolitisierte Angelegenheiten sind, die er „le politique“ nennt. Ohne den Anspruch zu erheben, diesen Thesen zu widersprechen, werfe ich die Frage auf, ob und wie die Verfassung ggf. ein anderes Versprechen bereithält, nämlich, ob sie wie das Recht im Allgemein zur Bewältigung gesellschaftlicher Probleme beiträgt, indem sie Bezug auf gesellschaftliche Ereignisse nimmt. Von der These ausgehend, dass dies in der Tat zutrifft, widme ich mich zudem der Erläuterung der Mechanismen, die die von mir so bezeichnete soziale Dimension einer Verfassung umfasst. Dieser Beitrag besteht aus drei Abschnitten und geht davon aus, dass Verfassungen Rechtsnormen sind. Entsprechend gehe ich zunächst auf die Mechanismen der Normenproduktion ein. Diese lassen sich als eine Kette operativer Kopplungen zwischen einem Sozialbereich, der Politik und dem Recht beschreiben, in der soziale Ereignisse inkongruente Ansprüche auf Rechtsnormen (Luhmann 1972) veranlassen. Diese können an zentrale Organisationen, etwa das Parlament oder Gerichte, adressiert werden, die sie in Entscheidungen, also in kongruent generalisierte Rechtsnormen umsetzen, die umgekehrt die Peripherie des Rechts binden und die betreffenden sozialen Systeme stimulieren. Insofern die Politik und das Recht sich koppeln, entsteht ein Kreislauf zirkulierender Irritationen, der einen Hyperzyklus (Teubner 1999) bezeichnet. Weil diese Entscheidungen generalisierbar sind, konstituieren sie Strukturen. Im zweiten Abschnitt argumentiere ich, dass Rechtsnormen strukturelle Kopplungen zwischen diesen sozialen Systemen bilden, wobei die Verfassung ebenfalls eine Rechtsnorm ist, von der sich alle anderen Rechtsnormen ableiten. Eine Verfassung beschränkt sich also nicht auf die Kopplung zwischen Politik und Recht; sie macht vielmehr nur eine erste Dimension aus. Genauso wie alle anderen Rechtsnormen, die durch den Produktionsmechanismus mit der sozialen Umwelt in der Weise Kontakt haben, dass sie durch Umweltimpulse in Gang gesetzt werden, korreliert die Verfassung als ein Ultrazyklus mit dem Hyperzyklus der Normenproduktion. In dieser Hinsicht verweist die soziale Dimension einer Verfassung darauf, dass die Selbsteinschränkungskriterien der beteiligten Systeme den jeweils anderen wechselseitig zugänglich gemacht werden. Dies besagt, dass das Recht nicht nur punktuelle Impulse zur Produktion von Rechtsnormen wahrnimmt, sondern bei der Bestimmung seiner eigenen Komplexität auch die Grundprinzipien des anderen Systems berücksichtigt. Für den sozialen Bereich wird das „Wie“ der Normenproduktion ins Kalkül einbezogen. Der letzte Abschnitt widmet sich schließlich der empirischen Erläuterung dieser Mechanismen. Daraus ergibt sich, dass erst wenn diese Verflechtungen auf Dauer stattfinden, die Bedingungen für die Wahrnehmung systemischer Expansionen auf der einen Seite und für die Selbstbeschränkung von Expansionen mittels des Rechts auf der anderen Seite gegeben sind.

11:45
Erschwernis- und Ewigkeitsklauseln in modernen Staatsverfassungen. Empirischer Überblick und Vorschlag einer Typologie
SPEAKER: Michael Hein

ABSTRACT. Verfassungen sind das rechtliche Basisdokument nahezu aller heutigen Staatsordnungen. Eines ihrer zentralen Merkmale ist ihre erschwerte Änderbarkeit: In der Regel werden erhöhte Mehrheiten im Parlament verlangt, oftmals auch die Bestätigung in einem Referendum oder durch das nachfolgende, neu gewählte Parlament. Ziel dieser Regelungen ist es, die rechtliche Basis der Staatsordnung dem einfachen Gesetzgeber und damit dem politischen Alltagsgeschäft zu entziehen – mithin, eine der zentralen Versprechungen des Rechts zu erfüllen: Erwartungssicherheit zu schaffen.

Zahlreiche Verfassungen gehen jedoch noch einen Schritt weiter: Sie sehen für einzelne Normen oder Normengruppen nochmals erhöhte Änderungshürden vor oder erklären sie gar für unveränderbar. Andere Verfassungen versuchen erhöhte Stabilität zu erreichen, in dem sie Änderungen für einen bestimmten Zeitraum nach der Inkraftsetzung der Verfassung (oder wiederkehrend nach jeder Änderung) erschweren oder verbieten. Schließlich kennen viele Verfassungen auch Änderungserschwernisse oder ‑verbote für bestimmte Situationen, etwa den Ausnahme- oder Kriegszustand (oder, in vielen Monarchien anzutreffen, für die Zeit der Regentschaft).

Solche Erschwernis- und Ewigkeitsklauseln finden sich in zahlreichen Verfassungen seit dem Beginn des modernen Konstitutionalismus in den nordamerikanischen Ex-Kolonien (1776–1784), die später die USA gründeten. Waren Änderungserschwernisse oder ‑verbote zunächst eher die Ausnahme, so sind sie heute in der überwiegenden Mehrheit der Verfassungen zu finden. Diese Beobachtung gilt nicht nur geographisch, sondern auch regierungssystemspezifisch: Neben rechtsstaatlichen Demokratien und konstitutionellen Monarchien verfügen auch hybride Regime und selbst Autokratien über solche Regelungen.

Trotz dieser empirischen Relevanz wurden Änderungserschwernisse und ‑verbote in der bisherigen Forschung kaum untersucht. In den Rechtswissenschaften ist in jüngster Zeit ein gewisses Interesse beobachtbar, dass sich jedoch ausschließlich auf Ewigkeitsklauseln bezieht (vgl. Albert 2014; Roznai 2015; Dreier 2009). In der Politikwissenschaft finden sich praktisch gar keine Untersuchungen zum Thema; in der quantitativen Verfassungspolitologie wurden sie bei der Entwicklung von Rigiditätdsindizes zuweilen sogar explizit ausgeschlossen (Lorenz 2005).

Vor diesem Hintergrund präsentiert der vorgeschlagene Beitrag zunächst eine Typologie von Änderungserschwernissen und ‑verboten. Anhand der Dimensionen des Erschwernisgrads und der ‑reichweite können sechs Typen unterschieden werden. Anschließend wird ein Datensatz sämtlicher Staatsverfassungen von 1776 bis heute vorgestellt, der etwa 840 Verfassungstexte enthält. Mit diesem Datensatz kann gezeigt werden, wie sich solche Klauseln historisch und geographisch verbreitet haben und wie sich die Bedeutung der verschiedenen Typen im Laufe der Zeit gewandelt hat. Zudem kann eine Reihe von Fällen identifiziert werden, in denen Änderungserschwernisse bzw. ‑verbote juristisch ausgehebelt wurden. Hierauf aufbauend wird ein Forschungsprogramm skizziert, das in verfassungspolitologischer Perspektive die ideen- wie ereignisgeschichtliche Herkunft, die globale Verbreitung, die Regelungsinhalte, die normativen Begründungen und die empirischen Wirkungen von Erschwernis- und Ewigkeitsklauseln in modernen Staatsverfassungen untersucht.

Albert, Richard (2014): Constructive Unamendability in Canada and the United States. In: Supreme Court Law Review 67, S. 181–219. Dreier, Horst (2009): Gilt das Grundgesetz ewig? Fünf Kapitel zum modernen Verfassungsstaat. München. Lorenz, Astrid (2005): How to Measure Constitutional Rigidity: Four Concepts and Two Alternatives. In: Journal of Theoretical Politics 17, S. 341–363. Roznai, Yaniv (2015): Towards a Theory of Unamendability.

12:00
Kommentar
SPEAKER: Michael Wrase

ABSTRACT. Kommentar zu Session 11C

11:30-13:00 Session 11G: Die Funktionen des Rechts
Location: Seminarraum 1.406, Universitätsgebäude am Hegelplatz, Dorotheenstr. 24, 4. OG
11:30
Utopie(n) des Privatrechts

ABSTRACT. Privatrecht wird oft als technisches Recht ökonomischer Prozesse gesehen. Schuldrecht, Sachenrecht und Gesellschaftsrecht erleichtern die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Privatrecht minimiert Transaktionskosten. Zuviel Recht hindert aber die freie Entfaltung der Produktivität. Dieser liberale bis liberalistische Unterton prägt nahezu alle westlichen Privatrechtsordnungen. Die ökonomischen Analyse dominiert inzwischen auch weitgehend die Privatrechtstheorie.

Diese funktionale Sicht verkennt die Realität und das implizite Versprechen des Privatrechts. Privatrechtliche Institutionen wie Verträge sind nicht nur technische Instrumente. Der moderne Mensch lebt in Verträgen. Arbeitsvertrag, Ehevertrag, Mietvertrag, Facebook-Account, Community-Mitgliedschaften prägen unsere Identität. Im besten Fall wählen wir gezielt, welche Verträge uns formen sollen. Zeig mir Deine Verträge und ich sag Dir, wer Du bist. Gesellschaftsverträge begründen juristische Personen. Selbst ›Staaten‹ existieren und finden Ihre friedliche Anerkennung in einem Netz aus Verträgen mit anderen Staaten oder Privaten. Andere Institutionen wie das Eigentum stehen dem Vertrag in ihrer gesellschaftsprägenden Kraft in nichts nach.

Stärker als Verfassungsgarantien oder philosophische Ideen formt Privatrecht die sozialen Institutionen ›Vertrag‹ und ›Eigentum‹. Privatrecht gestaltet Anbahnung, Durchführung und Abwicklung von Verträgen aus. Privatrecht definiert die Objekte von Verträgen. Privatrecht bestimmt den Nummerus Clausus von Rechten an Objekten. Privatrecht begründet geistige Eigentumsrechte. Privatrecht gestaltet unsere sozialen Interaktionsräume. Privatrecht konstitutiert Realitäten. Privatrechtstheorie ist Gesellschaftstheorie.

Das traditionelle Versprechen des Privatrechts ist, soziale Gestaltung frei von politischen Hintergründen zu vollziehen. Privatrecht soll eine neutrale Erweiterung von Interaktionsräumen ermöglichen. Diese Neutralität wird von den meisten Privatrechtlern nicht nur tief verinnerlicht, sondern auch vehement verteidigt. Hinter diesem impliziten Versprechen des Privatrechts steht die politische Utopie des Liberalismus.

Eine neutrale Utopie des Privatrechts kann nur eine pluralistische Utopie sein. Das Versprechen des Privatrechts wäre, einen Gestaltungsrahmen für verschiedenste Utopien zu eröffnen. Verschiedenste Formen von Vertrag und Eigentum unterstützen eine Pluralität von Lebensformen und Werten. Das Privatrecht ist die deliberative Plattform für die Konflikte zwischen pluralen Utopien.

11:45
(Rechts)Frieden - Entwicklung eines neuen (utopischen?) Rechtsmodells
SPEAKER: Gaby Temme

ABSTRACT. Ausgehend von Forschungsergebnissen der Rechtstatsachenforschung, Soziologie, Kriminologie, Viktimologie und (Aussage)Psychologie muss davon ausgegangen werden, dass das Strafrecht in seiner praktischen Ausübung den Großteil der Betroffenen als Opfer zurücklässt und insofern für sie keinen (Rechts)Frieden sicherstellt. Dies geschieht noch nicht einmal im Sinne einer Verfahrensgerechtigkeit. Auch die Diskussionen von Rechtswissenschaftlern und Strafverteidigern zeigen, dass selbst solche Instrumente wie die Rechtsmittel und das Wiederaufnahmeverfahren teilweise bereits in ihrer rechtlichen Gestaltung aber insbesondere in der praktischen Anwendung keine Befriedung für die direkt Beteiligten – Opfer, Täter, Personal des Strafrechtssystems – erreichen. Trotzdem herrscht Einigkeit darüber, dass die Symbolik des Strafrechts im Sinne der positiven Generalprävention – auch in der Praxis – Bedeutung für die Herstellung des (Rechts)Friedens hat. Der Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie unter Beibehaltung des normativen Rahmens des Strafgesetzbuches und des Strafprozessrechts zur Wahrung der positiven Generalprävention ein neues Rechtsmodell entwickelt werden kann, das die oben beschriebenen negativen Wirkungen nicht mehr hat.

Auf der Grundlage des Konstruktivismus wird ein Modell entwickelt, das die normativen Rahmungen des Strafrechtssystems beibehält. Jedoch endet die tatsächliche Konfliktregelung über das Strafrechtssystem nach der Ermittlung eines Tatverdächtigen durch die Polizei/Staatsanwaltschaft. Während die Konfliktparteien dann den eigentlichen Konflikt über Formen der Restorative Justice lösen können, findet eine weitere strafrechtliche Bearbeitung lediglich fiktiv über Inszenierungen in den (neuen) Medien statt. Wie dies in der Praxis aussehen kann, wird unter Einbeziehung relevanter Forschungen aus unterschiedlichen Disziplinen skizziert. Es handelt sich um einen ersten Entwurf, auf dessen Basis weitere Diskussionen möglich sind.

In dem Beitrag wird analysiert, inwieweit die Versprechung des Rechts den (Rechts)Frieden zu wahren und wiederherzustellen für die Entwicklung eines neuen Rechtmodells genutzt werden kann. Der Fokus liegt auf strafrechtsrelevanten Konflikten.

11:30-13:00 Session 11H: Law and Development in India

Track "Recht und Entwicklung". Organisiert von Anna-Lena Wolf, Maxim Bönnemann, Tanja Herklotz und Florian Matthey-Prakash.

The panel takes up the question whether law keeps its promise to foster development in the Indian context. As an emerging economic power and the world’s largest democracy, which at the same time faces human rights violations, social inequality and extreme poverty, India provides an interesting case study. More than twenty years of liberalisation have brought about insufficient improvement for the society at large. Thus, there have been growing demands for inclusive development. Actors from different fields – the legislative, executive and judicative, but also civil society – have increasingly utilized legal mechanisms to deal with these issues, with varying success. “Law” in this context shall be in understood broadly, also including law-making by judges, which is of fundamental importance in India – a common law country with a remarkably activist Supreme Court, which enjoys more public trust than the Parliament. Moreover, the panel emphasises that “development” is always connected to the question of how legislature/jurisprudence and realities on the ground relate to each other.

Location: Seminarraum 1.501, Universitätsgebäude am Hegelplatz, Dorotheenstr. 24, 5. OG
11:30
International Investment Law and Development: The Case of India

ABSTRACT. The promise of international investment law (IIL) has always been an arena of battle and competing narratives. Especially IIL’s first promise, the protection of investors, is once again experiencing a crisis of legitimacy. Also, IIL’s second promise, growing foreign direct investment (FDI), is under pressure as it is still lacking empirical evidence. Therefore, a new promise of IIL is increasingly gaining importance: development through good governance. Advocates of this emerging narrative stress the positive interplay of domestic institutions with IIL. Since the substantive standards of investment treaties can be seen as an embodiment of rule of law, spillover-effects of rule of law into domestic legal orders are to be expected.

This paper briefly argues, in a first step, that this view fails to convince as a new justification of IIL: Firstly, it suffers from a remarkable lack of contextualisation. Secondly, it is blind to the hegemonic function of the rule of law discourse. It is common knowledge in law and development literature that identical measures can provoke fundamentally different reactions in different contexts. The same applies to potential spillovers within IIL: interactions of the domestic sphere with IIL are shaped by domestic interest groups, political elites, the public sphere, postcolonial contexts and many other variables. Therefore, a case-by-case analysis which takes those factors into account is needed.

In a second step, the paper looks into the developmental impacts of the Indian IIL program. For this purpose, both the international process of negotiation and the domestic process of implementation shall be examined. India is an interesting candidate for a case study as India is a developing country with one of the biggest IIL programs worldwide.

Regarding the process of negotiation, the paper identifies India’s lack of capacities as the biggest challenge for the Indian IIL programme. Addressing the special needs of developing countries in BIT negotiations properly demands a high level of domestic expertise which India started to develop only recently. In this regard, a comparison to India’s capacities in trade law is instructive. In both areas the final push for developing capacities came with an international claim against India. Yet, the situation in IIL is different as capacity building in IIL is missing a boost by private stakeholders.

With regard to implementation, the paper argues that no spillover effects are to be expected. So far, all major claims against India address actions of the Indian judiciary. For example, the White Industries award determined that judicial delays in India can breach the “effective means” standard in investment treaties. Thus, the avoidance of further claims against India would require fundamental judicial reforms. However, attempts to solve the problem of delays in the Indian judiciary have failed spectacularly in the past. Up to now, little is known about the causes of judicial backlogs (Krishnaswamy et. al. 2014). The only thing that is certain is that reforms have to consider carefully all interests and incentives in the Indian litigation system. However, reactions of the Indian judiciary and executive to White Industries show that IIL is considered to be a threat to judicial independence rather than an incentive to reform. For instance, the new draft model investment treaty, which has been released on 25 March 2015, excludes domestic judicial action in its entirety from investment tribunals’ scope of review. The paper argues that the reasons for such harsh reactions lie in the powerful position of the Indian judiciary, but yet even more in the fact that domestic stakeholders play a far more important role in India than outwards pressure does.

11:45
Litigating for Gender Justice: How the Indian Women's Movement Uses the Judiciary as a Tool to Promote Development

ABSTRACT. This paper focuses on gender justice as one important aspect of development and explores how the Indian women's movement from the 1970s until today has made strategic use of courts in order to push for equality between men and women. Drawing on the example of litigation initiated by women's groups against discriminatory "personal laws," the paper describes modes of social change through strategic litigation. The personal laws provide an example of various areas in which Indian law discriminates against women. The personal law system regards the area of family law and is a system of legal pluralism. "Family matters" such as marriage, divorce and maintenance are governed by the respective laws (codified as well as customary) of either Hindus, Muslims, Christians or Parsis. Other than the public debate on the personal laws which has mostly revolved around topics such as modernity and secularism, feminists and women's rights activists have emphasised how this system conflicts with the idea of gender justice. While the media often regards only the Muslim personal law as "backward" and discriminatory, feminists agree that all personal laws contain discriminatory aspects. The paper takes two strands of comparative constitutional law as starting points: Firstly, it refers to Ran Hirshl's theory of "juristocracy," i.e. the transfer of power from representative institutions to judiciaries (Hirshl, 2007). Here, the Indian Supreme Court - a body that is sometimes regarded as the "most powerful court in the world" (Jaising) provides an example of an organisation that has taken up the power of a lawmaking institution. Especially the era after the emergency rule (post 1977) is marked by judicial activism. Justices began to allow law suits by publicly interested individuals or groups wishing to bring cases on behalf of others - a form of litigation that came to be termed "Public Interest Litigation" (PIL) and has become an important tool to promote the rights of disadvantaged groups. The second aspect is Charles Epp's (1998) idea of social change through landmark court decisions and the importance of a so called "support structure," i.e. rights advocates' pressure for legal mobilisation. Here, I link the women's movement (which functions as such a supports structure) with cases in which the Indian Supreme Court dealt with the personal laws. While never having declared the system of personal laws unconstitutional, the Supreme Court has in many cases deviated from customary religiously justified laws for the sake of a more gender-just interpretation (most prominently in the famous Shah Bano case in 1985 in which it granted post-divorce maintenance to a Muslim woman). How these cases are related to the women's movement remains mostly underresearched and demands attention if we want to go deeper into the interconnections between the various actors in a society. The paper is divided into two parts: The first part engages with the relationship between the women's movement and the judiciary in general. I shall answer the question to what degree the Indian women's movement has regarded litigation (in comparison with legislative reforms) as a promising tool to achieve gender justice - or more broadly: social change. Here I will draw on autobiographies by and interviews with women's activists in order to present a firsthand insight. The second part engages with concrete court cases and shows under which circumstances strategic litigation - i.e. litigation initiated by women's rights activists, lawyers and NGOs - has been successful. I will demonstrate that while judgements unfortunately often fail to provide an in depth analysis of the conflict between religious freedom and the right to equality, they nevertheless often try to accommodate gender-justice - an achievement that can to a great degree be traced back to the women's movement.

12:00
Juridification of the right to development in India

ABSTRACT. In the present paper, I argue that the right to development, though a non-legally binding treaty, is indirectly implemented in the Indian legal system through case law – a process which I interpret as a juridification of the right to development. This argument challenges the distinction between legally binding and non-legally binding treaties in international law around which many of the controversies regarding the right to development arise. Furthermore, the paper approaches the question of how different concepts of development and correlated ideas of justice are negotiated in the genesis of interpretations of the right to development in Indian case law.

The United Nations declaration on the right to development (1986) declares development a human right and at the same time redefines development as a participatory process “in which all human rights and fundamental freedoms can be fully realized” (Art. 1). This definition fundamentally challenges the dominant interpretation of development in terms of economic growth. Ever since the declaration on the right to development, its moral and legal justification, justiciability and chief contents have been much debated. Proponents declare the right to development as one of the core human rights (e.g. Sengupta 2001). Critics, on the other hand, argue that human rights can, by definition, not include collective rights. Moreover, the right to development is at times considered to be insignificant because it is not an international treaty that provides legally binding obligations for duty-bearers, such as states (cf. Donnelly 1985). Taking India as an example, I argue that these discussions are misleading because they fail to notice the actual implementation of the right to development in national legal systems through case law. I claim a juridification of the right to development arising thereby (Blichner and Molander 2008). The juridification is manifested through Indian judges who have shown an increased inclination to refer to the United Nations declaration on the right to development in their legal argumentation to solve judicial conflicts. Judges, moreover, statutorily regulate the right to development by interpreting it as part of Article 21 (“right to life”) of the Indian constitution. These cases, subsequently, create precedents that are followed by other judges.

The application of the right to development in India mainly reflects a legal argument for the protection of minority rights. For instance, in a judgment on the constitutionality of customary law in Bihar in 1996, which had until then excluded tribal women from the inheritance of property, the right to development was used to argue for an amendment of the discriminatory law “…to ensure that women have an active role in the development process. Appropriate economic and social reforms should be carried out with a view to eradicate all social injustice” (Madhu Kishwar vs. State of Bihar). There is, however, a risk of misuse involved as exemplified by a judgment in 2010 on the land acquisition for the construction of the Yamuna Expressway. There it was argued that “…the scales of justice must tilt towards the right to development of the millions who will be benefited from the road and the development of the area, as against the human rights of 35 petitioners therein…” (Nand Kishore vs. State of U.P.). This interpretation uses the right to development for a utilitarian legal argument to justify human rights violations of small groups of people in the name of development and the public interest of the people of India. Thereby, the redefinition of development as put forth in the declaration on the right to development is turned towards its exact opposite.

12:15
School Management Committees as a Means for Bottom-Up Implementation of the Right to Education in India

ABSTRACT. Since 2002, the Indian Constitution includes a justiciable right to primary education (Art. 21A). However, there are no effective means for rights-bearers to legally enforce their right against the state. The institution of School Management Committees (SMC), created in 2009, could give parents a substantial amount of agency, if only it were effectively implemented.

In recent decades, there have been considerable advances in primary education in India. Illiteracy rates have declined (52 per cent in 1991, 75 per cent in 2011). Also, a large percentage of children are enrolled in schools. Still, studies show that learning achievements are far behind many other developing countries. This is especially so in government and low-cost private schools, which petrifies India's class divide. The state aims to improve the situation through a rights-based approach, which implies that children have a right for education to be delivered to them, meaning that implementation should also be driven "from below".

Already in 1950, the Indian Constitution (in Art. 45, a "Directive Principle" (DP)) imposed a duty on the state to deliver free and compulsory education to children. The Constitution creates one decisive difference in between DPs (Part IV of the Constitution) and Fundamental Rights (Part III): While the latter are fully justiciable, the former are explicitly excluded from judicial enforcement.

In the early 1990s, the Supreme Court in two decisions (Mohini Jain and Unnikrishnan) declared that the (justiciable) fundamental right to life includes a right to primary education. These decisions are in line with many others on social rights: Education is one of several DPs that the court has read into the right to life. However, the right to education stands out in several respects: For instance, Art. 45 was the only DP that imposed a time limit for its implementation (ten years from the commencement of the Constitution, i.e. 1960). Most importantly, it is the only DP that Parliament has explicitly transformed into a justiciable right by creating Art. 21A.

A rights-based approach and justiciability imply that there must be effective means to claim their right from the state. However, parents of those children who ought to profit from the right do not have the means to approach India's courts, while parents who do have those means are not dependent on the state, as they enrol their children in higher-quality private schools. Therefore, to fulfil the constitutional promise of justiciability, there must be other ways to allow parents to take part in the right's implementation.

The institution of SMCs creates one such means of bottom-up implementation. The Right to Education Act of 2009 prescribes that every government and state-aided school create an SMC whose members shall be, to 75 per cent, parents. SMCs shall monitor the schools and the use of funds given to them and create school development plans. In theory, this could allow parents to help improve the running of "their" schools, as well as giving them a channel through which they can voice their concerns "upwards" to the state.

However, evidence has shown that until today, SMCs do not work as desired. Parents are often illiterate themselves, which makes it difficult for them to voice their concerns and perform administrative work. Also, SMCs are often not created at all, and if they are, many parents are unaware of their existence. If they are aware, the schools are often unwilling to allow their participation.

Therefore, in practice, the rights-bearers are not yet effectively included in the delivery of the right. However, giving them agency is an integral part of the duty that a justiciable fundamental right imposes on the state. By failing to ensure that institutions like SMCs function as they should, the Indian state is not delivering on its constitutional duty.

13:30-14:30 Session 12: Plenumsveranstaltung: Die Versprechungen der Wissenschaft. Forschung zu Recht und Gesellschaft im Kontext aktueller wissenschaftspolitischer Entwicklungen

Ausgangspunkt der Podiumsdiskussion bildet die Beobachtung von aktuell stattfindenden Forschungstätigkeiten, die rechtssoziologischer Arbeit zwar grundsätzlich sehr nahe stehen, jedoch wissenschaftlich wie organisatorisch kaum in die weltweit etablierten rechtssoziologischen Debatten eingebunden sind. Im Kontext so genannter "problemorientierter" Forschung in inter- und transdisziplinären Feldern verbinden sich wissenschaftliche Disziplinen und Kulturen, ressourcenstarke Forschungsförderung, wissenschaftspolitisches Agenda Setting und tagesaktuelle Nachfrage der Praxis nach wissenschaftlicher Expertise zu teilweise äußerst erfolgreichen Netzwerken.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie für das Feld "Recht und Gesellschaft" auf semantischer wie struktureller Ebene eine vergleichbare Stärkung seiner akademischen, politikberatenden und wissenschaftspolitischen Präsenz zu erreichen wäre.

Zu diesen Bedingungen gehört unter anderem eine Form der Selbstbeschreibung, die dem Fach in der akademischen Lehre schärfere Konturen verleihen kann. Es ist auch an wissenschaftliche Karrieremuster, Politiken der Nachwuchsförderung und organisatorische Formen zu denken, die auf allen Gebieten durch eher klassische Fächerstrukturen geprägt sind. Weiter ist die zunehmende Durchsetzung des „Journal Impact Factor“ zu berücksichtigen, welche als Qualitätsmassstab die Attraktivität des Deutschen als Wissenschaftssprache schwächt und Veröffentlichungsprojekte in enger spezialisierten Zeitschriften benachteiligt. Schliesslich stellen Forschungsförderungsprogramme heute zentrale Opportunitätsstrukturen für die Etablierung und Stabilisierung von wissenschaftlichen Feldern dar, auf deren Basis dann beispielsweise die Ausweisung von universitären Forschungsschwerpunkten und die Denomination von Professuren erfolgen.

Die Podiumsveranstaltung hat vor diesem Hintergrund das Ziel, die deutschsprachige Recht und Gesellschaft Forschung und spezifischer die Rechtssoziologie im Kontext aktueller wissenschaftspolitischer Entwicklungen zu verorten und Perspektiven für die Zukunft zu diskutieren.

Veranstalterin: Zeitschrift für Rechtssoziologie – The German Journal of Law and Society

Teilnehmer

  • Alfons Bora, Universität Bielefeld
  • Walter Fuchs, IRKS, Wien
  • Pierre Guibentif, Dinâmia-CET, ISCTE-IUL, Lissabon
  • Eva Kocher, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder

Chair: Michelle Cottier, Universität Genf

Location: Audimax, Hauptgebäude, Unter den Linden 6